Allgemeine Pressekritiken über Susanne Linkes Choreographien "Im Bade wannen",

"Frauenballett", "Heiße Luft" und "Le Coq est mort"...


Allgemeine Kritiken

Vittoria Ottolenghi, Rom, Paese Sera, 14. April 1982:

Nach „Frauen“ präsentiert sich Susanne Linke in einem Solo „Im Bade wannen“ zu Musik von E. Satie.

Bisweilen soll man keine Angst vor gewissen Wörtern haben. Es sei laut und deutlich gesagt: Das ist ein echtes Meisterwerk.

Es ist der getanzte innere Monolog eines Menschen, der - wie etwa der Ulysses bei Joyce - allein und frei ist (auch wenn diese eigene unfreiwillige Einsamkeit und Freiheit etwas Beängstigendes hat), allerdings nur im eigenen Badezimmer.

Wenn sie sich im eigenen Bad einschließt, womöglich aus der Notwendigkeit heraus, zu der uns die Natur nun

einmal zwingt, beginnt ihr Geist, einen kurzen, strahlenden Abstecher in die geheimnisvollen Gefilde der Einsamkeit zu unternehmen.

Und siehe, auch die Bad-Benutzerin wird zu einer wunderbar greifbaren Gestalt, fast zu einem Gegenstand, den man auf Hochglanz polieren kann, um sich aufzulösen, zur Erinnerung an die Mutterbrust, die Einflüsterung längst verlorener, unmöglicher Freuden wird perfekt.

Susanne Linke Im Bade wannen Urauffuehrung 1980 Fotomontage Heidemarie Franz
Photos: Rhidha Zouari

Vittoria Ottolenghi, Rom, Paese Sera, 14. April 1982:

Alle Arbeiten von Susanne Linke scheinen in leuchtender Klarheit, ohne jede falsche Emphase jedoch, zu belegen, dass allein die tänzerische Geste wirklich Ausdruck werden kann. Die tänzerische Geste - die endlos zu sein scheint - imitiert keineswegs die Realität, noch verleiht sie ihr symbolischen Charakter, aber sie manipuliert die Wirklichkeit, verformt sie, vermittelt sie. Nicht so sehr das Symbol als vielmehr die Metapher ist ihr natürlicher Nährboden. 

Gabriele Brandstetter, „Über Gänge: Susanne Linkes Soli“,

Festschrift deutscher Tanzpreis 2007 Schritte verfolgen 2007:

Die Choreographin und Tänzerin Susanne Linke bezeichnet das Gehenlernen als eine wesentliche Antriebskraft ihres Weges zum Tanz. Wenn sie über ihre Sprachbehinderung in ihrer Kindheit erzählt und die damit verbundene Schwierigkeit, sich verständlich zu machen, sagt sie: „Es war ein langsames, mühsames Gehenlernen.“ Ein wiederholtes Gehenlernen wird auch zum Thema ihres Solos „Schritte verfolgen“ (1985). Es ist ein Stück über den Weg zu sich selbst. Die Versuche, „Schritte“ zu finden, treffen auf Hindernisse: sie werden Gänge und Gehversuche in Übergängen: „Gehen lernen“, so sagt Susanne Linke, „darum geht es mir in dem Stück: Um Entwicklungen, um die Zweischneidigkeit des Lebens, dass man nämlich ständig am Rande des Abgrunds geht. Man kann runterfallen und muß sich hochstrampeln. Es geht um den Lebenskampf, um den Kampf, nicht herunterzufallen vom Weg, seine Schritte zu festigen, eine Schrittfolge zu entwickeln.“

 

Die Choreographin verfolgt mit diesem Stück den eigenen Weg zurück in die Kindheit. Sie komponiert diese Erfahrungen in einer Bewegungsfolge von hoher Dynamik, die zugleich Brüche und Kehrtwendungen der Mühen und der Leiden sichtbar werden lassen.

 

Mit einer irritierenden Heftigkeit rennt die Tänzerin im ersten Teil des Solos immer wieder gegen einen Tisch, prallt zurück, wiederholt das Anrennen gegen das Hindernis, bis zur Erschöpfung - bis diese Begrenzung überwunden ist und sie buchstäblich auf einer anderen Ebene ankommt. Doch auf die physische Begrenzung des Bewegungsraums folgt die psychische:

Sie fordert eine Auseinandersetzung mit den persönlichen Möglichkeiten und Grenzen der Bewegung heraus: in der Konfrontation mit einem Tanz-Idealbild vom Körper und seiner Bewegung. Susanne Linke verfolgt den Weg einer Tänzerin, von der Nachahmung von Ballettposen bis schließlich zum Finden einer individuellen Bewegungsidentität: Ein Schrittsetzen von eigenwilliger unangepasster Schönheit.

 

Man könnte dieses Solo „Schritte verfolgen“, das sie sehr häufig aufgeführt hat und vor kurzem, mehr als 20 Jahre später, wie ein Vermächtnis noch einmal zeigt, als das Herzstück von Susanne Linkes Solokarriere betrachten. 

Susanne Linke Schritte verfolgen Rekonstruktion 2007 Fotomontage Heidemarie Franz
Photos: Gert Weigelt

Katja Schneider, Fortführung und Variationen:

Frauen rackern sich ab. Schleppen jeweils eine meterlange bunte Stoffbahn, rollen sie aus und schieben sie mit schlurfenden Schritten zur gegenüberliegenden Bühnenseite. Von dort zurück, wieder von vorn. Sie wischen mit dem Stoff den Boden. Sie schlagen ihn auf die Erde wie riesige, von Nässe schwere Wäschestücke. Sie ziehen ihn auseinander, legen ihn in Falten. Raffen das Stoffpaket wieder zusammen. Und noch einmal. Und immer wieder. „... und wenn´s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen“, das Leben. So sagt die Bibel im Psalm 90, Vers 10, und so steht es als Motto über Susanne Linkes „Frauenballett“. Zwei Männer tappen herum, schwingen große Reden und stehen dabei den arbeitenden Frauen überall im Weg. Die Frau schuftet, und der Mann wischt sich den Schweiß von der Stirn. 1981 entstand „Frauenballett“ für das Folkwang-Tanzstudio. 

Susanne Linke Frauenballett Urauffuehrung 1981 Fotomontage Heidemarie Franz
Photos: Georg Schreiber, Rhidha Zouari

Und als Susanne Linke „Frauenballett“ 15 Jahre nach der Uraufführung wieder aufnimmt und für ihr -zusammen mit Urs Dietrich geleitetes Bremer Tanztheater- in Details verändert aufführt, kontrastiert sie es an einem Abend mit der Premiere von „Heiße Luft“. Farbenprächtiger Stoff wellt sich auch hier höchst dekorativ, wölbt sich zu einer bühnengroßen Blase, Tücher werden drapiert und gebauscht. In vielen Größen und Farben sind sie auch die Requisiten einer skurrilen, schrägen Modenschau. Dieses Biotop der Schönen und Selbstbewussten bevölkern ein Sumo-Ringer, der zum hüpfenden Frosch mutiert, ein hechelnder Menschen-Hund, ein Model, eine schwarze Mumiengestalt, die um siamesische Zwillinge herumtrippelt. Eine prächtige Nummernrevue, so leicht und augenblicksverbunden, so poetisch und albern, wie der Titel verspricht. 

Susanne Linke Heisse Luft Urauffuehrung 1996 Fotomontage Heidemarie Franz
Photos: Jörg Landsberg

Katja Schneider, Fortführung und Variationen

... „Le Coq est mort“ (1999):

Letzteres entstand auf Vermittlung der afrikanischen Tänzerin Germaine Acogny mit Tänzern ihrer Kompanie Jant-Bi und in Zusammenarbeit mit Avi Kaiser in Toubab Dialaw im Senegal. „Es sollte ein typisches Tanztheaterstück werden, mit afrikanischen Männern, die als Diplomaten mit Aktenkoffern und Sektglas anfangen und am Ende wieder als Afrikaner da stehen“ erzählt Susanne Linke. Klischeehafte Vorstellungen von Afrika warf die Choreographin schnell in den heißen Sand, in dem geprobt und das Stück gemeinsam entworfen wurde. „Da muss man völlig offen sein, erst durch die Begegnung entwickelt sich etwas.“ Zu staunen, selbst zu lernen, das stand hier erst einmal im Vordergrund. Afrikanischer und europäischer Tanz stießen in „Le Coq est mort“ aufeinander und damit drei Bewegungskonzepte, zum afrikanischen kam aus Europa der klassische Tanz und die Moderne, die Susanne Linke gelernt hatte. Für die Choreographin letztlich zwei unvertraute Idiome: „Die Welt des klassischen Tanzes ist mir immer noch sehr fremd. Das Höfische, die Repräsentanz, die Betonung auf der Linie, das ist mir immer noch innerlich sehr fremd“, sagt sie und baut sich die Brücke zum afrikanischen Tanz, dessen Energie sie fasziniert, über das Tanztraining bei ihrer Lehrerin Mary Wigman. „Dank Mary Wigman, die sich sehr auf das Zentrum konzentrierte, den Torso einsetzte, von dem alles kommt, von Hüften und Bauch, über den Rücken hinweg, dank dieser Schule war für mich der Zugang zum afrikanischen Tanz wohl etwas leichter.“

Susanne Linke  Le Coq est mort Urauffuehrung 1999 Fotomontage Heidemarie Franz
Photograph unbekannt